Orgel von Johann Hinrich Klapmeyer (1727/30), erbaut unter Benutzung umfangreicher alter Substanz
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Die Orgel in der St.-Nicolai-Kirche in Cuxhaven-Altenbruch ist ein einzigartiges Instrument, dessen Baugeschichte sich über mehr als zwei Jahrhunderte (1497 bis 1727) erstreckt. Die Altenbrucher Orgel besitzt ein nahezu vollständig erhaltenes Pfeifenwerk und einen eindrucksvollen Prospekt (die künstlerische, verzierte Vorderseite der Orgel), worin sich im Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal jeweils ein Principal 8' befindet.
Johann Hinrich Klapmeyer (ca. 1690 bis 1757) ist der Sohn von Johann Werner Klapmeyer († 1720), der als Orgelbauer von Glückstadt und Krempe aus wirkt. Er wird als Geselle Schnitgers 1684 das erste Mal erwähnt. Johann Werner baut von 1703 bis 1719 (?) eine neue Orgel in Bützfleth, wodurch es zu einer Auseinandersetzung zwischen Schnitger und seinem ehemaligen Gesellen kommt. Der Grund dafür ist, dass Schnitger das Orgelbauerprivileg für diese Region besitzt. Jedoch darf Klapmeyer weiterbauen, da der Kontrakt bereits unterzeichnet ist.
Sein Handwerk lernt Johann Hinrich Klapmeyer bei seinem Vater und steht somit in der großen Tradition des qualitätsvollen Orgelbaus in Norddeutschland. Arbeiten von ihm sind für Herzhorn bei Glückstadt (1721 Neubau), Bützfleth (1724 Reparatur), Altenbruch (1727 bis 1730 Umbau und Erweiterung), Neuenkirchen in Norderdithmarschen (1734 bis 1738 Neubau), Boldixum auf Föhr (1735 Neubau) und Wesselburen (1736 bis 1738 Neubau) nachzuweisen. Aber vollständig erhalten ist nur seine Arbeit in Altenbruch. Orgelprospekte und einige Pfeifenreihen sind in Neuenkirchen, Boldixum und Wesselburgen erhalten. Klapmeyer besitzt als Orgelbauer ein Höchstmaß an Fähigkeiten, die er unter Beweis stellt, als er in Altenbruch das Pfeifenwerk aus drei Jahrhunderten zu einer Einheit zusammenführt, verschmelzen lässt und zusätzlich durch eigenes Pfeifenwerk ergänzt. Klapmeyer wird das alte, übernommene Pfeifenwerk überarbeitet und neu Intoniert haben, um es so einheitlich zu gestalten, wie es sich bis 1956 präsentiert. Dann aber kommt es zu einem großen Umbau der Orgel.
Im Laufe der Zeit arbeiten viele bekannte Orgelbauer wie Dietrich Christoph Gloger (1745), Johann Paul Geyke (1767), Vater und Sohn Wilhelmy (zwischen 1784 und 1857) und Johann Hinrich Röver (1884 bis 1921) an der Orgel, ohne dass das Instrument wesentliche Veränderungen erfährt. Im Jahr 1925 wird die Orgel behutsam durch Karl Kemper (Lübeck) restauriert. Auch hierbei wird die klangliche Eigenart des Instruments nicht angetastet. Hans-Henny Jahn – auf die Orgel aufmerksam geworden – veranlasst und begleitet als Sachverständiger diese Arbeiten. Das Orgelwerk wirkt so beeindruckend auf Jahn, dass es wegweisend für die Entwicklung der „Orgelbewegung“ (neobarocke Reformbewegung im Orgelbau) wird.
Noch 1956 befindet sich die Orgel in einem ausgezeichneten klanglichen Zustand. Das Instrument wird als „das eindrucksvollste Klangbild von allen erhaltenen Orgelinstrumenten im Nordsee-Küstengebiet“ beschrieben. Aber dann wird in den Jahren von 1956 bis 1958 eine Restaurierung durchgeführt, die das Instrument stark verändert und heute als falsche Reichtung angesehen wird. Jedoch können einige der einschneidenden Veränderungen, die diese Restaurierung mit sich bringt, durch Rudolf von Beckerath 1967 wieder rückgängig gemacht werden.
Die Altenbrucher Orgel ist für die Orgellandschaft zwischen Elbe und Weser sowie darüber hinaus von großer Bedeutung und ihre erneute Restaurierung – beginnend im Jahr 2003 – wird durch die Firma Jürgen Ahrend Orgelbau aus Leer-Loga (Ostfriesland) im Frühjahr 2004 abgeschlossen. Damit erhält eine der bedeutendsten historischen Orgeln Norddeutschlands ihr ursprüngliches, einzigartiges Klanggewand und eine angemessene mechanische und technische Anlage zurück.
Anm.: originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen in römischen Zahlen.
Disposition:
(35 / HW/RP/BW/Ped)
Oberwerk | Rückpositiv | Brustwerk | |||||||||||
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Quintadohn Principahl Gedackt Octav Waldflöt Mixtur Simbel Trommeth Vox humana | 16’ 8’ 8’ 4’ 2’ V III 8’ 8’ |
| Fr/* Fr Fr Fr Fr Fr Fr Kl Kl | Principahl Gedackt Quintadöhn Octav Gedackt Nasat Super Octav Blockflöt Sexquialtera Scharff Dulcian Kromphorn | 8’ 8’ 8’ 4’ 4’ 3’ 2’ 2’ II IV 16’ 8’ |
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Fr ä/Dr Fr ä Dr ä Fr Fr Fr Fr/Dr | Gedacktes Gedackt Super Octav Quint Scharff Knop Regal | 8’ 4’ 2’ 11/2’ III 8’ |
| Kl Kl Kl alt (?) Kl Kl | ||
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Untersatz Prinzipahl Gedackt Octav Mixtur Posaun Trommeth Corneth | 16’ 8’ 8’ 4’ IV 16’ 8’ 2’ |
| ä/* Dr Dr Dr Fr/Dr Fr/Dr **/A | * ä Fr Dr Kl **
| = = = = = =
| 1498 vor 1647 1647 1697 1727/30 1967
| z. T. aus Pfeifenmaterial Ende 15. Jhd. unbekannt H. Chr. Fritzsche Matth. Dropa J. H. Klapmeyer unter Verwendung älterer Becher, durch R. v. Beckerath bereits verwendet Ahrend | ||||||
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Manualumfänge: Pedalumfang: Winddruck: Tonhöhe: Klaviaturen: Ventile: Tremulant: Manualkoppel: ursprünglich 8 Bälge: 2 Zimbelsterne | C, D, E, F, G, A, – c''' C, D, E – d' 77mmWS a’ = 478, 6 Hz bei 18 °C (Chorton, ca. 1/2Ton über „normal“) Werckmeister III modifiziert alt für alle Werke ganzes Werk, RP jetzt 4 Bälge |
Bau-/Restaurierungsgeschichte
1497 | Ein Vertrag zum Bau einer Orgel mit sechs Registern wird mit Johannes Coci (Bremen) geschlossen. |
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1498 | Die neue, noch nicht ganz vollendete Orgel wird am 06.12.1498 das erste Mal gespielt. |
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1561 | Die Orgel wird um ein zweites Manualwerk (Rückpositiv – möglicherweise von Matthias Mahn aus Buxtehude) erweitert. |
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1577 | M. Mahn arbeitet wiederum an der Orgel. |
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1621 | Antonius und Henricus Moitzen (Buxtehude) arbeiten an der Orgel. |
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1647 | Mit Hans Christoph Fritzsche (Hamburg) wird am 17.09.1647 ein Kontrakt zur Renovierung der Orgel geschlossen. Unter Verwendung der alten Register soll die Orgel neun Register im Hauptwerk, elf im Rückpositiv und fünf in einem Pedalturm bekommen. |
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1649 | Die Arbeiten werden abgeschlossen. |
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1667/68/ 1679 | Der Orgelbaumeister Joachim Richborn (Hamburg) führt ebenfalls Reparaturen an der Orgel durch. |
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1697– 1700 | Matthias Dropa (Hamburg) erweitert das Pedal und Rückpositiv (neue Windladen und wenige neue Register). |
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1727–30 | Johann Hinrich Klapmeyer verlegt die Orgel aus dem Chor auf eine neue große Westempore unter Beibehaltung der alten Substanz. Er erweitert das Instrument um ein Brustwerk und erstellt zwei neue Pedaltürme mit neuem Prospektprincipal. Die gesamte Orgel wird im technischen und klanglichen Bereich grundlegend überholt. Die Altenbrucher Orgel hat nun neun Register im Hauptwerk, zwölf im Rückpositiv, sechs im Brustwerk und acht im Pedal. |
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1745 | Der Orgelbauer Dietrich Christoph Gloger arbeitet an der Orgel. |
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1767 | Der Orgelbauer Johann Paul Geyke arbeitet an der Orgel. |
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1784– 1857 | Die Orgel erfährt weitere kleine Arbeiten im Zeitraum von dem Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch Vater und Sohn Wilhelmy. |
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1884– 1921 | Erneut wird die hervorragende Qualität der Klapmeyer-Orgel unter Beweis gestellt, als der Orgelbauer Johann Hinrich Röver die Orgel bearbeitet und diese beinahe drei Jahrhunderte später immernoch keine wesentlichen Veränderungen erfahren muss. |
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1925 | Die sehr vorsichtig durchgeführte Restaurierung der Orgel durch Karl Kemper (Lübeck) beginnt, wobei das Instrument klanglich nicht verändert wird. Hans-Henny Jahn, der Sachverständiger der Arbeiten, ist von der Orgel derart fasziniert, dass sie die Entwicklung der „Orgelbewegung“ sehr beeinflusst. |
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1956–58 | Die bislang klanglich unangetastete Orgel von Johann Hinrich Klapmeyer – als „das eindrucksvollste Klangbild von allen erhaltenen Orgelinstrumenten im Nordsee-Küstengebiet“ bezeichnet – wird im Zuge der „Orgelbewegung“ aus heutiger Sicht unvorteilhaft restauriert. |
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1967 | Rudolf von Beckerath behebt viele der „Schäden“, die der Orgel im Zuge der „Orgelbewegung“ zugefügt worden sind. Allerdings sind einige der Veränderungen irreparabel. |
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2003/04 | Erneute Restauration der Orgel durch Jürgen Ahrend aus Leer-Loga (Ostfriesland). |
(Stand 28.01.2022)