Middels, Ev.-luth. Kirche

Orgel von Hinrich Just Müller (178486)

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Die bemerkenswerte romanische Granitkirche in Middels mit ihren kleinen Rundbogenfenstern birgt in ihrem Inneren einige besondere Kostbarkeiten: Auf der Ostseite vor der halbrunden Apsis ist eine spätgotische Triumphkreuzgruppe und ein reliefgeschmückter romanischer Taufstein, während sich auf der Westseite eine Empore mit der spätbarocken Orgel befindet. Ihr in den Farben rot und gold gefasster Prospekt (die künstlerische, verzierte Vorderseite der Orgel) zeigt die für ihren Erbauer Hinrich Just Müller typische Gliederung: einen großen Mittelturm, der von zwei hohen Flachfeldern mit je vier Pfeifen umgeben ist, an die sich dann zweigeschossige Flachfelder und die kleinen Seitentürme anschließen, ausschwingend in den mit Pfeifenattrappen ausgefüllten seitlichen Ohren.

Den Bau dieser Orgel beschließt die Gemeindeversammlung am Reformationstag des Jahres 1784. Die Abnahme findet schließlich 1786 statt. Nach Veränderungen im 20. Jahrhundert wird die Restaurierung der Orgel in mehreren Etappen von 1973 bis 1989 durchgeführt. Die rote Farbfassung stammt von 1976. Ursprünglich ist das Gehäuse „auf eine Nusbaumen-Art“ bemalt, das Schnitzwerk „mit Berliner Blau und weis verschattirt“, wie im Vertrag festgelegt. Diese Fassung kann heute noch an der seinerzeit als Vorbild dienenden Holtroper Orgel bewundert werden. Dort wird sie bei der Restaurierung 1977 nach Befund wiederhergestellt.


Anm.: originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen: z. B. 3fach (3f.).

Disposition:

(8 / I/angeh. Ped)

Manual

Technische Angaben:

 

Principal

Gedackt

Rohrflöte

Quinte

Oktav

Mixtur

Dulcian

Trompete

4

8

4

3

2

4f.

16

8

 

P, o

o

o

o

o

o/n

r *

r *

Manualumfang:
Pedal (angehängt):

Winddruck:
Tonhöhe:
Stimmung:
Windlade:
3 Keilbälge:
Tremulant:

C – c'''

C – c'

68mmWS

knapp 1/2Ton über normal

original ungleichstufig

o

o

r

 


Pfeifenwerk:

 

*

o

n

r

=

=

=

=

B/D

1784–1786

1949

1989

Bass und Diskant


Hinrich Just Müller (original)

Alfred Führer (neu)

Alfred Führer (restauriert)


Bau-/Restaurierungsgeschichte

1784

Die Gemeindeversammlung beschließt den Bau der Orgel am Reformationstag 1784. Man verhandelt mit den Orgelbauern Hinrich Just Müller (Wittmund) und Johann Friedrich Wenthin (Emden): „Letzterer aber zeigte keine sonderliche Lust“. Müller legt drei fertige Bestecke (Entwürfe) aus der Schublade vor, von denen die Gemeinde das preisgünstigste wählt: Das von Holtrop für 400 rthl. (Reichstaler). Nachdem Müller noch das Ansteigen des Kaufpreises für Blei und Eichenholz beklagt, wird das große Cis „als ein in einer kleinen Dorfkirche sehr entbehrlicher Ton und die Zimbelsterne als ein ganz unnützes und die Andacht mehr störendes als beförderndes Spielwerk weggelassen“. Für 385 rthl. erhält Müller schließlich den Zuschlag.

Ein bezeichnendes Licht auf die damalige Situation der kleinen Gemeinde wirft das Gedicht, das der amtierende Pastor Brückner 1786 verfasst und das noch heute in seiner anmutigen Rokoko-Umrandung die Emporenbrüstung ziert:


„Beschlossen ward dies Werk in kümmerlicher Zeit.

Und auch vollführt. Gott gab uns Muth und Einigkeit.

Lernt, Enkel, draus, fast nichts sei, wenn ihr wollt, zu schwer.

Mit Gott gewagt und klug gewirkt, so segnets Er.“

 

 

1786

Die Abnahme der Orgel findet statt. Bei der Abnahmeprüfung kann der Hager Organist Büning feststellen, dass Müller der Kirchengemeinde sehr weit entgegengekommen ist: Müller verwendet besseres Holz für die Bälge und richtet alles für den Ton Cis so ein, dass dafür nur noch die Pfeifen fehlen.

 

 

1847, 56,

1892

Reparaturarbeiten an dem Instrument werden durchgeführt, die die Substanz des Werks unangetastet lassen.

 

 

1905

Der Dulcian wird zugunsten einer neuen Gambe aufgegeben.

 

 

1949

Die originale Trompete wird durch eine andersartige neue ersetzt.

 

 

1970/71

Die Orgel verliert ihren ursprünglichen Standort im Osten vor der Apsis, als sie mitsamt ihrer Empore auf die Westseite versetzt wird, damit der Altarraum wieder voll zur Geltung kommen kann.

 

 

197375

Die mit der Umsetzung fällige Restaurierung des Orgelwerks – die sich über viele Jahre hinziehen soll – wird durch Wilfried Müller (Arpke) begonnen.

 

 

1976

Die rote Farbfassung stammt von 1976. Ursprünglich ist das Gehäuse „auf eine Nusbaumen-Art“ bemalt, das Schnitzwerk „mit Berliner Blau und weis verschattirt“, wie es im Vertrag lautet.

Diese Fassung kann heute noch an der seinerzeit als Vorbild dienenden Holtroper Orgel bewundert werden. Dort wird sie bei der Restaurierung 1977 nach Befund wiederhergestellt. Die Orgel in Holtrop erbaut Müller 1772, wie eine 1833 in ihren Bälgen gefundene Inschrift belegt. Ihr Prospekt ist durch bekrönendes Schnitzwerk mit zwei Trompete blasenden Engeln und zwei Zimbelsternen zusätzlich geschmückt. Auch die Holtroper Orgel steht ursprünglich an der Ostseite des Kirchraums und wird später auf die Westseite versetzt. Die Disposition lautet bei beiden Orgeln gleich. Auch sind beide in ihren sechs Labialregistern original erhalten, während die zwei Zungenregister rekonstruiert werden müssen. In Holtrop führt die Hamburger Orgelbauwerkstatt Rudolf von Beckerath die Restaurierung durch (1966/1967, Rekonstruktion der Zungenregister 2000). Der Klang dieser Orgel ist im Vergleich zur Middelser ebenmäßiger und etwas vornehm zurückhaltend.

 

 

1983, 85,

1989

Die Restaurierung des Orgelwerks wird in drei weiteren Etappen durch Alfred Führer (Wilhelmshaven) zu Ende geführt. Der Klang der sechs (von acht) original erhaltenen Register bleibt stets ungebrochen.

 

 

Heute

So fällt unter den erhaltenen Müller-Orgeln noch heute das Middelser Instrument durch seinen besonders vollen und strahlend sauberen Klang auf, wozu auch die ebenfalls erhaltene, ziemlich terzenreine Stimmung und die originale Balganlage beitragen.

 


(Stand 22.05.2020; Literatur und Quellen: Reinhard Ruge)