Cappel, St. Peter und Paul

Orgel von Arp Schnitger (1680)

Navigation: Arp-Schnitger-Straße 12, 27632 Cappel

Die Arp-Schnitger-Orgel – eine der am besten erhaltenen Orgeln aus der Werkstatt des Orgelbaumeisters – macht Cappel heute zu einem weltbekannten Ort. Im Jahr 1680 wird die Orgel ursprünglich für die Kirche des St.-Johannis-Klosters in Hamburg erbaut. Sie wird aber 1816 für 600 Taler an die Gemeinde Cappel verkauft, die sich für ihre 1806 abgebrannte und bald wieder neu aufgebaute Kirche eine neue Orgel nicht leisten kann.

Diese Orgel wird 1680 von Schnitger in seiner Stader Werkstatt erbaut und in der Hamburger Klosterkirche St. Johannis aufgestellt. Das Kloster wird während der napoleonischen Besetzung säkularisiert („verweltlicht“) und findet als Magazin (Lagerraum) Verwendung. Mit dieser Orgel begründet Schnitger seinen Erfolg als Orgelbauer in Hamburg. Schnitger verwendet beim Bau der Orgel ältere Register aus der Vorgängerorgel, die aus dem 16. Jahrhundert stammt. Die Klangwirkung in der Hamburger Kirche muss verhältnismäßig sanft gewesen sein. Zum Beispiel die obertonreiche Renaissancetrompete im Hauptwerk gibt dem Instrument Kraft und Fülle. Im Pedal ist bemerkenswert, dass Schnitger eine Terzmixtur verwendet, was für seinen Baustil eher ungewöhnlich ist.

Das schön gestaltete Schnitzwerk der Orgel stammt von Christian Precht – einem bekannten Hamburger Schnitzer und Bildhauer – den Schnitger beim Bau der Orgel in St. Cosmae in Stade kennenlernt. Später arbeitet er häufig mit ihm zusammen.

Nach der Aufstellung der Orgel in Cappel durch Georg Wilhelm (Stade) findet das reiche Schnitzwerk der Orgel unter anderem auf dem Instrument keinen Platz mehr. Daher wird es im ganzen Kirchraum verteilt. In diesem Kirchraum wirkt die Orgel zwar etwas kräftig und intensiv im Klang, fügt sich aber durch die ursprünglich sanfte Intonation verhältnismäßig gut in den neuen, kleineren Raum ein.

Wilhelm stellt das Instrument nahezu unverändert in Cappel wieder auf. Er verändert lediglich die bis dahin mitteltönige Stimmung der Orgel in eine damals modernere gleichstufige Stimmung. Seither ist die Orgel nicht verändert worden. Selbst die zinnernen Prospektpfeifen bleiben erhalten. Da sie dunkel oxidiert sind und wenig nach Zinn aussehen, entgehen sie der Beschlagnahmung im Ersten Weltktrieg. Der Orgelbauer R. von Beckerath pflegt das Instrument sehr vorsichtig und erhält es in seiner prachtvollen Klanglichkeit.

Die Schallplatteneinspielung von Bachwerken durch Helmuth Walcha in den 50er Jahren lassen diese Orgel schließlich weltberühmt werden. In Cappel selbst ist allerdings bis heute noch nicht die originale Zusammensetzung der Cimbel III im Hauptwerk als Quart-Sext-Cimbel wiederhergestellt worden. Vorausschauend wird bereits 1977 darauf angespielt. Heute gilt das Instrument neben der Steinkirchener Schnitger-Orgel als das am besten erhaltene Instrument Schnitgers mit einer unveränderten Intonation.


Anm.:
originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen in römischen Zahlen.

Disposition:

(30 / HW/RP/Ped)

Hauptwerk

Rückpositiv

Pedal

 

Principal

Quintadena

Hollfloit

Octava

Spitzfloit

Nasat

Gemshorn

Rauschpfeife

Mixtur

Cimbel

Trompet

8

16

8

4

4

3

2

II

V–VI

III

8

S

r

r

r

S

r

r

S

S

S/B

r

Principal

Gedact

Quintadena

Floit

Octava

Siffloit

Sesquialtera

Tertian

Scharff

Dulcian

4

8

8

4

2

11/2

II

II

IV–VI

16

S

r

S

S

S

S

S

S

S

S

Untersatz

Octava

Octava

Nachthorn

Rauschpfeife

Mixtur

Posaun

Trompet

Cornet

16

8

4

2

II

IV–VI

16

8

2

 

r

r

S

S

S

S

S

r

B/S

 


Pfeifenwerk:

 

r
S

B

=
=

=

16. Jhd.

1680

1977

unbekannt, aus der Vorgängerorgel (Spätrenaissance)

Arp Schnitger

Rudolf von Beckerath

 


Technische Angaben:

 

Manualumfang:
Pedalumfang:

Winddruck:

Tonhöhe:

Stimmung:

Koppeln:

Tremulant

Cimbelstern

CDE – c’’’, Manual: kurze Oktave, doppelte Obertasten Fis, Gis

C, D, Dis, E – d

68mmWS

ca. 3/5Ton über normal

gleichstufig (seit 1816)

Manualkoppel


Bau-/Restaurierungsgeschichte

1680

Arp Schnitger baut für die Kirche des St.-Johannis-Klosters in Hamburg eine Orgel, die später weltberühmt werden soll. (Die Disposition der Orgel ist von Schnitger als „Werbematerial“ nach Basedow/Mecklenburg gesendet worden, wo diese originale Handschrift noch heute im Pfarrarchiv aufbewahrt wird. (s. u.)

 

 

1806

Die mittelalterliche Kirche in Cappel fällt einem Brand zum Opfer und mit ihr eine erst zehn Jahre alte Orgel von dem Stader Orgelbauer Georg Wilhelm Wilhelmy.

 

 

1810

Danach wird ein klassizistischer, schlichter Saalbau errichtet. Die Kirche wird zügig wieder aufgebaut und die Gemeinde begibt sich auf die Suche nach einer neuen Orgel in gebrauchtem Zustand, da sie nur über wenig Geld verfügt.

 

 

1815

In einem Brief an die Kirchengemeinde Kehdingbruch – den Ort, an dem eine Orgel von Georg Wilhelm (dem Sohn von Georg Wilhelm Wilhelmy) erworben werden soll – bemüht sich die Gemeinde um eine gebrauchte Orgel. Die heute in Cappel stehende Schnitger-Orgel wird angeboten. In diesem Schreiben (1815) eines Hamburger Geschäftsmannes heißt es:

„Zwei Orgeln sind hier zu verkaufen, eine Aus der Johannis- und die Andere aus der heil. Geist-Kirche(;) für erstere fordert man den sehr geringen Preis von Rthlr 600 (Reichstaler) – für die Andere welche sogar einige Stimmen weniger hat wird Rthlr 1000 gefordert. Die Orgel der Johannis-Kirche welche zu kaufen empfohlen wurde, ist von einem geschickten Orgelbauer, Namens Arpo Schnitger, erbauet. hat 30 klingende stimmen, alle von Metall(,) 6 Bälge(.) Die Disposition derselben ist folgende:“


Disposition:

(originale Schreibweise)

Hauptwerck

Rückpositiv

Pedal

 

Principal

Quintadena

Hohlflöt

Octav

Spitzflöth

Rauschpfeif

Nassat

Gemshorn

Mixtur

Zimbel

Tro(m)pet

8 Fuß

16 “

8 “

4 “

4 “

2fach

3 Fuß

2 “

4, 5, u. 6fach

3fach

8 Fuß

 

Principal

Quintadena

Gedact

Flöte

Octav

Siffflöthe

Tertian

Scharf

Dulcian

Sexquialter

4 Fuß

8 “

8 “

4 “

2 “

11/2

3(fach)

5 u. 6fach

16 Fuß

2fach

 

Untersatz

Posaun

Trompet

Trompet

Octav

Octav

Nashorn (!)

Rauschpf.

Mixtur

16 Fuß

16 “

8 “

4 “

8 “

4 “

2 “

2(fach)

4 u. 5(fach)

 


1815


„Da diese Orgel nun viel zu groß wenn man die ganze Stärke derselben gebrauchen wolte, für die dortige Kirche seyn würde; so könnte man (1 tens) verschiedene kleine Schrey-Hälse von Pfeiffen welche an einer großen Kirche nur nothwendig sind, herauswerfen. Hieraus entstünde sogar für die zukunft der Vortheil, dass sie mit weniger Umstände und mit mildern Kosten dermahlen reparirt und durchgestimt werden kann. Diese kleinen Pfeiffen waren wenigstens dem Gemüthe nach etwas Geld währt.“

 

 

1816

Die Schnitger-Orgel wird für 600 Taler an die Gemeinde Cappel verkauft.

 

 

1917

Die dunkel oxidierten Prospektpfeifen der Orgel werden nicht für die Verwendung im Ersten Weltkrieg beschlagnahmt, weil man ihnen ihren Zinn-Anteil nicht so sehr ansieht.

 

 

1950

Durch Helmuth Walchas Schallplatteneinspielung von Bachwerken erlangt die Orgel große Popularität und wird weltweit bekannt.

 

 

1977

Es wird eine Bestandsaufnahme der originalen Zusammensetzung der Cimbel III im Hauptwerk als Quart-Sext-Cimbel gemacht, die bis heute zu keiner Wiederherstellung geführt hat.

 


(Stand 07.02.2022; Literatur und Quellen: Winter, Helmut; Cornelius H. Edskes; Urs Boeck: Die Schnitger-Orgel in Cappel; St. Petri und Pauli. Hrsg. v. Helmut Winter. Vol. 2, Orgelstudien, Hamburg, Wagner, 1977, Seite 26 unten; Orgelakten der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, Akten des Orgelsachverständigen Martin Böcker)