Osteel, Ev.-luth. Warnfriedkirche

Orgel von Edo Evers (1619)

Navigation: Fabriciusstraße 18, 26529 Osteel

Die mittelalterliche, ev.-luth. Warnfriedkirche von Osteel beherbergt hinter ihren wuchtigen Mauern eine ganz besondere Kostbarkeit: die zweitälteste Orgel Ostfrieslands aus dem frühen 17. Jahrhundert.

Die Orgel wechselt ihren Standort in ihrer Geschichte bereits zweimal, bevor sie ihn auf der Westempore der Kirche einnimmt. Dort ist sie noch heute zu finden. Durch den Abbruch von Chor und Querschiff geht ihr ursprünglicher Platz im „Kreuz der Kirche“ – also an der Nordseite des Querschiffs – verloren. So wird sie im Jahr 1830 auf einer neuen Empore an der Ostseite der Restkirche wiederaufgebaut. Den heutigen Standort erhält das Instrument bereits 60 Jahre später, als 1890 der Altarraum mit einem neugotischen Altar ausgestattet wird. Das schöne Renaissance-Gewand der Orgel – bei den Standortwechseln stark verändert – wird erst 1995 wiederhergestellt.


Anm.: originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen
in römischen Zahlen.

Disposition:

(13 / HW/BW/angeh. Ped)

Hauptwerk I

Brustwerk II

 

Principal

Quintadena

Quintadena

Octave

Spitzflöte

Quinte

Octave

Mixtur

Trompete

8

16

8

4

4

3

2

IV

8

 

P, o

P, o

o

P, o

o

o

o

r

o/+ *

Hohlflöte

Spitzflöte

Sifflöte

Krummhorn

4

2

1

8

 

o

o/+

o

o/++

 


Pfeifenwerk:

 

*

o

+

++

r

=

=

=

=

=

B/D

1619

1761

1830

1994/1995

Bass und Diskant


Edo Evers, Groningen (original)

Johann Adam Berner

Johann Gottfried Rohlfs

Jürgen Ahrend (restauriert)

 


Technische Angaben:

 

Manualumfang:

Pedalumfang:

Winddruck:

Tonhöhe:

Stimmung:

Koppeln:

Gehäuse:

Flügeltüren:

Windladen:

3 Keilbälge:

2 Sperrventile:

Tremulant:

CD – c'''

CD – d' (angehängt ans HW)

70mmWS

normal

modifiziert mitteltönig (nach Norden)

Manualkoppel: r


o/r

r

+

r

r

r


Bau-/Restaurierungsgeschichte

161618

Edo Evers, der – nach neueren Forschungen von C. H. Edskes – aus Groningen stammt und wahrscheinlich seinerzeit ein Schüler von Marten de Mare ist, schafft das damals größte Werk in Ostfriesland: die dreimanualige Vorgängerin der heutigen Arp-Schnitger-Orgel in der Norder Ludgerikirche. Als Evers nach Bremen zieht, entfaltet er in Ostfriesland eine ausgedehnte Tätigkeit, wegen der er zeitweilig in Emden und Jever lebt.

Noch heute sind in der Ludgerikirche acht Register aus der einstigen Evers-Orgel erhalten, solide gebaute Pfeifen von hoher klanglicher Qualität, die zum Teil noch auf den Erbauer der ersten dortigen Orgel, Andreas de Mare, zurückgehen. Von dieser 1566/1567 erbauten Orgel verwendet Evers wahrscheinlich auch in Osteel viele Pfeifen, sowie Gehäuseteile wieder, die er in Norden übrig hat. Der daher besonders alte und wertvolle Pfeifenbestand bleibt trotz vieler Eingriffe im Wesentlichen erhalten.

 

 

1760

Die Orgel erfährt wahrscheinlich einen ersten Umbau durch Johann Friedrich Constabel und dessen Schwiegersohn Adam Berner (Jever), der nach Angaben des damaligen Marienhafer Pastors um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Osteel arbeitet.

Dabei wird der Klaviaturumfang der Renaissancezeit (FGA – g''a'') auf den nun üblichen Umfang (CD – c''') erweitert. Das bedeutet, es werden unten sechs und oben vier Töne hinzugefügt. Die großen Zusatzpfeifen werden aus Holz gefertigt, die kleinen aus zum Teil sehr altem Metall, was für die klangliche Anpassung an das vorhandene Pfeifenwerk vorteilhaft ist. Ein damals wohl neu eingebautes Brustwerkregister wird sogar vollständig aus gewendeten alten Pfeifen hergestellt. Windladen und Traktur werden für den größeren Umfang teils umgebaut, teils neu angefertigt.

 

 

1830

Es gibt einschneidende Änderungen am äußeren Erscheinungsbild bei der ersten Umsetzung der Orgel durch Johann Gottfried Rohlfs (Esens). Die alten, bemalten Flügeltüren werden zu zeitgemäßen kleinen Ohren mit Holzattrappenpfeifen umgearbeitet. Offenbar, weil das Gehäuse die schweren großen Flügeltüren nicht mehr tragen kann. Die tragenden, senkrechten Ständer werden beim Abbau kurzerhand in der Mitte durchgesägt, was die Stabilität des Gehäuses erheblich schwächt. Vermutlich aus demselben Grund wird auch der bis dahin eingezogene Unterbau des Gehäuses auf die Breite des Oberteils gebracht. Die ursprünglich zweistöckigen Flachfelder werden mit langen, durchgehenden Holzattrappenpfeifen besetzt, und auf den Spitztürmen werden überdimensionale (recht simple) ausgesägte Posaunenengel positioniert. Im klanglichen Bereich wird die bis dahin mitteltönige Stimmung „möglichst gleichschwebend” gemacht und das Regal im Brustwerk – ein typisches Zungenregister der Renaissance – „in ein Krummhorn verwandelt”.

 

 

1890

Es kommt bei der zweiten Umsetzung der Orgel zum Verlust der drei alten Keilbälge, als der Norder Orgelbauer Johann Diepenbrock statt ihrer einen neuen Magazinbalg einbaut.

 

 

1917

Die Ablieferung der Prospektpfeifen zu Kriegszwecken findet statt. Die Kirchengemeinde wird aber von dieser wegen des zu geringen Zinngehalts befreit. Der Erste Weltkrieg hat sogar positive Auswirkungen auf die Erhaltung der Orgel, da wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage der Empfehlung der Orgelbaufirma Furtwängler & Hammer (Hannover) nicht gefolgt wird. Diese findet sich in einem Gutachten von 1917: „Durch das Alter sowie die Temperatureinflüsse ist das Orgelwerk in allen seinen Teilen verbraucht und eine Reparatur irgendwelcher Art nicht mehr möglich. ..., vielmehr ist die Beschaffung eines neuen Orgelwerks eine unumgängliche Notwendigkeit.” Erst zehn Jahre später kommt durch die „Orgelbewegung“ (neobarocke Reformbewegung im Orgelbau) das Verständnis für den Wert historischen Orgeln auf.

 

 

1928

Christhard Mahrenholz schreibt 1928: „Die Orgel befindet sich im allgemeinen in einem befriedigenden Zustande... Die Disposition ist ganz vorzüglich und darf ohne besondere Genehmigung nicht geändert werden.”

 

 

1932

Die Osteeler Orgel wird schließlich vom Landeskirchenamt Hannover unter Denkmalschutz gestellt.

 

 

1930,

1956/57

Es finden Instandsetzungsarbeiten durch Max Maucher (Emden) (1930) und Alfred Führer (Wilhelmshaven) (1956/1957) statt. Diese helfen zwar dabei, die Orgel am Leben zu erhalten, schaden aber dem Pfeifenwerk durch unsachgemäße Behandlung und empfindliche Eingriffe.

 

 

197173

Es entsteht weiterer Schaden bei Kirchenbauarbeiten, als die Orgel so starken klimatischen Schwankungen ausgesetzt wird, dass die Holzteile viele Risse bekommen. So werden die Windversorgung und die technische Funktion schließlich äußerst mangelhaft, das Gehäuse geradezu baufällig, der Zustand der Pfeifen sehr schlecht und ihre Intonation ziemlich entstellt.

 

 

1994/95

Es kommt zu der lange fälligen, umfassenden Restaurierung durch die Leeraner Orgelbauwerkstatt Jürgen Ahrend, die dem Gehäuse die notwendige Stabilität und dem stark entstellten Prospekt (der künstlerischen, verzierten Vorderseite der Orgel) sein Renaissance-Gesicht mit den schönen Proportionen zurückgibt. Außerdem erhalten die Pfeifen ihren alten, kräftigen und charakteristischen Klang mit den durch die modifiziert mitteltönige Stimmung bedingten, besonders reinen Harmonien in den gebräuchlichen Tonarten zurück. Größtenteils handelt es sich noch um die alten Pfeifen – vollständig neu hergestellt werden muss lediglich das Register Mixtur.

Der im 18. Jahrhundert erweiterte Tonumfang wird beibehalten (ein Verzicht auf die damaligen Zubauten hätte zu viel Verlust an wertvoller Subtanz und eine starke Einschränkung für die heutige musikalische Praxis mit sich gebracht). Auch das Zungenregister des Brustwerks wird in der umgebauten Gestalt übernommen (da es sich nicht mehr zurückbauen lässt) und gründlich instandgesetzt. Die Keilbalg- und die Spieltischanlage werden rekonstruiert.

 

 

Heute

So entspricht die Osteeler Orgel im Aussehen und im Klang nun wieder ihrem hohen historischen Wert und gehört damit zu den bedeutendsten Orgeln Ostfrieslands.

 


(Stand 22.05.2020; Literatur und Quellen: Reinhard Ruge (etwas umgearbeiteter Auszug aus dem Buch „Orgelland Ost-friesland“)