Woquard, Ev.-luth. Marien-Kirche

Orgel von Hinrich Just Müller (1804)

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In der ev.-luth. Marien-Kirche in Woquard steht das letzte Werk des Wittmunder Orgelbauers Hinrich Just Müller, das dieser im Jahr 1804 erbaut. Nachdem die Kirchengemeinde 1802 zunächst von Johann Friedrich Wenthin ein Besteck (Entwurf) einholt, bietet Müller aber mehr und leistet – sehr zur Zufriedenheit der Gemeinde – auch gute Arbeit. Die sonst vertraute vielgliedrige und stark profilierte Prospektgestaltung (Gestaltung der künstlerischen, verzierten Vorderseite der Orgel) Müllers weicht hier dem neuen Trend zur Vereinheitlichung. Auffällig am Orgelprospekt ist der breite, nur flach gerundete Mittelturm, dem sich nur einfache Flachfelder und die kleinen, wiederum flach-runden Außentürme anschließen.

Das kleine, aber inhaltsreiche Werk ist weitgehend original erhalten. Eine letzte Restaurierung findet 2005/2006 durch Bartelt Immer (Norden) statt. Der frische, fast saftige Klang dieser „schmucken“ Orgel ist ziemlich ungebrochen erhalten und spricht Spieler wie Hörer unmittelbar an.


Anm.:
originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen in römischen Zahlen.

Disposition:

(9 / I/angeh. Ped)

Manual

Technische Angaben:

 

Principal

Bordun

Principal

Rorflöte

Nassat

Octava

Mixtur

Trompet

Foxhomane

8

8

4

4

3

2

IV–V

8

8

 

o

o

P, o

o

o

o

o

o *

+

Manualumfang:

Pedalumfang:

Winddruck:

Tonhöhe:

Stimmung:


Keilbalganlage:

Tremulant:

Sperrventil

C – f'''

C – f' (angehängt)

70mmWS

452 Hz knapp 1/2Ton über normal

wohltemperiert (nach Bach, Titel zum Wohltemperierten Clavier)

r

o

 


Pfeifenwerk:

 

*

o

+

r

=

=

=

=

B/D

1804

1939

2005/2006

Bass und Diskant


Hinrich Just Müller (original)

Karl Puchar

Bartelt Immer (restauriert)


Bau-/Restaurierungsgeschichte

♫♪

Aus der „Orgeltopographie“ von Walter Kaufmann, dem „Orgelinventar der Krummhörn und der Stadt Emden“ von Ralph Nickles und den Akten des Orgelrevisors ist über die Baugeschichte der Woquarder Orgel zusammenfassend folgendes zu entnehmen:

 

 

1802

Die Gemeinde wünscht eine Orgel in die neue Kirche, „um den Gottesdienst anmutiger zu machen“ (Rat Kempe an das Konsistorium). Zwei Kostenanschläge werden eingereicht: am 10. Juli von Johann Friedrich Wenthin (Emden) und am 14. Juli von Hinrich Just Müller (Wittmund). Müllers Disposition lautet zusammengefasst:


Disposition:

Anm.: originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen: z. B. 3fach (3f.).

„Manualklaviatur C – f''' mit 54 Tasten, Untertasten mit Ebenholz, Obertasten mit Elfenbein belegt, Klaviaturrahmen, soweit sichtbar, mit schönem Holz zierlich furniert, angehängtes Pedal C – d' mit 27 Tasten; ein Tremulant, der gelinde schläget und dem Werke beim Spielen den Wind nicht beraubet; zur Sicherheit des Werks ein Sperrventil und halbierte Registerzüge zur Trompete; alles in allem 9 Stimmen mit 12 Registerzügen. 3 Keilbälge, 7 bis 8 Fuß lang, 4 Fuß breit, Winddruck 40 Grad; Pfeifenmetall 1/4 Zinn, 3/4 Blei; gleichschwebende Temperatur, Chorton“:

 

Manual

insgesamt 647 klingende Pfeifen

Technische Angaben:

alles in allem 9 Stimmen mit 12 Registerzügen

 

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Principal

Bordun

Principal

Nassat

Rohrflöt

Octave

Mixtur

Trompet

Vox humana

4

8 Ton

8

3

4

2

4&5f.

8

8

 

54 P

54 P

35 P

54 P

54 P

54 P

54 P

54 P

54 P

M °

M

M °°

M

M

M

M °°°

M

M °°°°

Manualklaviatur:

angehängtes Pedal:

Winddruck:

Stimmung:

Unter-/Obertasten:

Klaviaturrahmen:

Registerzüge:

3 Keilbälge:

Sperrventil, Tremulant

C – f''' mit 54 Tasten

C – d' mit 27 Tasten

40 Grad

gleichschwebend, Chorton

mit Ebenholz/mit Elfenbein

sichtbarer Teil mit Holz furniert

halbiert zur Trompete

7–8 lang, 4 breit

 


Pfeifenwerk:

 

P

M

°

°°

°°°

°°°°

=

=

=

=

=

=

Pfeifen

Metall: 1/4 Zinn, 3/4 Blei

(aus Bley und Zinn compositiret), die vorne stehenden Pfeifen mit weißglänzender Folie verzinnt

ab g° offen, die 19 Töne im Baß sprechen durch eine besondere Ableitung im Bordun 8an

mit zweimaliger Repetition

in ähnlicher Art mit Mantel-Gewölbe

 


♫♪


[Die sehr detailliert ausgeführten
„Conditionen“ (s. Nickles Orgelinventar, S. 331ff) können hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden]:

 

 

1803

Protokoll der Ausverdingung vom 26. April:

„Die beiden eingereichten Bestecke, Risse und Conditiones der Orgelbauer Wenthin und Müller wurden vorgelegt, worauf nach gehöriger Untersuchung und reichlicher Überlegung, und weil beide Kunstverständige das Müllersche Besteck am vollständigsten und ausführlichsten gehalten hatten, dessen Riß, Besteck und Conditiones zu Grunde gelegt wurden.“

 

 

1804

Rat und Amtsverwalter Kempe ans Kg. Konsistorium:

„Nachdem der Bau dieser Orgel öffentlich an den Orgelbauer Müller ausverdungen, und zwar nach dem durch andere Kunstverständige notwendig erachteten, etwas abgeänderten Conditionen, anstatt 636 Rth. (Reichstaler) für 705 Rth., ist diese Orgel am 28. September von dem Präceptor und Organisten Siegmann aus Emden (Große Kirche) gehörig untersucht und abgenommen worden. Dabei ist diese Arbeit nicht allein völlig besteckmäßig befunden, sondern der Orgelbauer Müller hat zu unserer und der dortigen Einwohner größten Zufriedenheit über das Besteck gearbeitet und dieses große Werk dadurch verschönert.“

 

 

1823

Reparatur der Orgel durch Johann Gottfried Rohlfs (Esens).

 

 

1851

Die Orgel wird neu lackiert und vergoldet.

 

 

1887

Kostenanschlag von Gerd Sieben Janssen über eine Reparatur mit Ersatz der alten Klaviatur durch eine neue (Untertasten mit Elfenbein belegt, Obertasten von Ebenholz). Ob sie auch ausgeführt wird, lässt sich nicht belegen.

 

 

1939

Reparatur der Orgel durch Karl Puchar (Norden) für 908 RM (Reichsmark) mit neuer Klaviatur und neuer Vox humana. Abnahme durch den Kirchenmusikdirektor (KMD) Prenzler (Osnabrück). Inschrift über dem Spielschrank: „H. J. Müller bauete im Jahre 1804 diese Orgel. – Benjamin Baumfalk, Organist und Schullehrer.“

 

 

1961

Einbau eines bis dahin nicht vorhandenen elektrischen Gebläses.

 

 

1967

Anfang September wird der Turm der Kirche vom Blitz getroffen. Dabei wird die elektrische Anlage neben der Orgel vollkommen zerstört (der Zähler fliegt bis in den Altarraum). Die Holzverkleidung der Balganlage wird auseinandergesprengt, Rückwand und Seitenfüllungen werden vom Orgelgehäuse gerissen. Die gesamte Balganlage wird undicht. Durch die starke Erschütterung werden auch die Windladen und die Mechanik in Mitleidenschaft gezogen. Von der Verunreinigung wird auch das Pfeifenwerk betroffen, das daraufhin zum großen Teil ausfällt.

 

 

1968

Winddruck 68mmWS, gemessen am Prospekt (Untersuchungsbericht Franz Lengemann/Harald Vogel).

 

 

1969

Reparatur der Orgel durch Wilfried Müller (Arpke): dabei Erneuerung der verwurmten Manual-klaviatur.

 

 

1970

Wilfried Müller ersetzt die drei (nicht historischen?) Keilbälge durch einen neuen Kastenbalg.

 

 

1982

Reparatur- und Restaurierungsarbeiten an der Windlade und der Traktur und provisorische Instandsetzung des Pfeifenwerks durch Bartelt Immer. Der Winddruck wird dabei von 79 auf 72mmWS erniedrigt.

 

 

2005/06

Restaurierung durch Bartelt Immer (Norden) mit Rekonstruktion der drei Keilbälge, der Klaviaturen für Manual und Pedal. Der Winddruck wird auf 70mmWS festgelegt, was zu einer Tonhöhe von a' = 452 Hz bei 16 °C – also weniger als einen 1/2Ton höher als normal – führt.

 


(Stand 22.05.2020; Literatur und Quellen: Reinhard Ruge)