Himmelpforten, St. Marien

Orgel von Hans Scherer d. Ä. (15871590)

Navigation: Hauptstr. 55, 21709 Himmelpforten

Die Kirche St. Marien wird im Jahr 1738 geweiht und bis 1788 endgültig fertiggestellt. Vor diesem Neubau steht seit etwa 1330 an derselben Stelle das Nonnenkloster „Porta Coeli“. Die Konventualinnen (Klostermitglieder) führen dort ein Leben nach den Gewohnheiten der Zisterzienser (einem christlichen Orden, der aus dem Orden der Benediktiner entsteht und neben der Arbeit religiöse Praktiken wie das Gebet oder Lesungen ausübt). Diese Klosterkirche fungiert auch für die Bürger des Ortes Eulsede als Kirche. Der Name „Porta Coeli“ verschwindet aber bald und das Dorf wird Himmelpforten – die deutsche Übersetzung des lateinischen „Porta Coeli“ genannt.

Nachdem ca. 1556 die Reformation in Himmelpforten eingeführt wird, bleibt das Kloster als evangelisches Damenstift (religiöse Wohn- und Lebensgemeinschaft für Frauen ohne Bindungen durch die Ablegung von Gelübden) bestehen. Am Ende des 30-jährigen Krieges wird dieses Kloster säkularisiert („verweltlicht“). Im 18. Jahrhundert ist die alte stattliche Klosterkirche so baufällig, dass sie abgerissen und eine neue Kirche gebaut wird. Lediglich der östliche Teil der Nordmauer bleibt erhalten.

In dem als typische Saalkirche des 18. Jahrhunderts errichteten Kirchenraum fällt besonders der 1737/1738 von J. A. Relling erbaute Kanzelaltar mit seitlichen Priechen (extra Sitzplätzen vorne, die von den restlichen Plätzen getrennt sind und früher meistens von höheren Ständen verwendet werden) auf. Weiterhin sind von der Einrichtung neben einem Epitaph (Grabinschrift oder Grabdenkmal in einer Kirche) für die Äbtissin des ehemaligen Damenstiftes Maria von Weyhe (1616) 15 Passionsgemälde erwähnenswert. Diese Gemälde zieren die Brüstung der seitlichen Empore und stellen 15 Szenen der Leidensgeschichte Jesu dar. Diese Gemälde stammen – wie auch die Orgel – aus der ehemaligen Stader Nicolaikirche und werden 1834 nach Himmelpforten gebracht. Die Gemälde sind aufgrund des Stifterwappens (Familienwappens) auf eine Entstehungszeit um 1620 zu datieren.

Hans Scherer d. Ä. (Hamburg) und Antonius Wilde bauen von 1587 bis 1590 unter Verwendung älterer Register eine Orgel für die Kirche St. Nicolai zu Stade. Arp Schnitger baut sie 1677 um. Die Stader Nikolaikirche wird 1834 schließlich geschlossen und abgerissen.

Der Orgelbauer Peter Tappe (Verden) kauft die Orgel an und stellt sie mit einem Hauptwerk, Brustwerk, Pedal und neuem Prospekt 1834/1835 in Himmelpforten auf (das Rückpositiv wird nach Kirchlinteln verkauft). Es geschieht 1955/1956 ein durchgreifender Umbau durch Paul Ott (Göttingen) und 1987 setzt A. Führer (Wilhelmshaven) die Orgel nach einer Kircherenovierung in Stand. Das Orgelwerk gibt die qualitätsvollen Klänge Scherers über lange Zeit nur noch in Maßen wieder.

Die Orgel erfährt 2014 eine grundlegende Restaurierung auf dem Zustand von 1956. Dabei werden die historischen Pfeifen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert klanglich profiliert und die Pfeifen von 1955/1956 an diese Pfeifen angeglichen. Die Terzzimbel des Hauptwerks wird gegen eine Sesquialtera zweifach aus historischen Pfeifen der Schnitger-Schule ersetzt.


Anm.:
originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen: z. B. 3fach (3f.).

Disposition:

(24 / HW/BW/Ped)

Hauptwerk

Brustwerk

Pedal

 

Quintadena

Prinzipal

Rohrflöte

Octave

Blockflöte

Nasat

Oktave

Mixtur

Terzimbel

Trompete

Vox humana

16

8

8

4

4

22/3

2

4–6f.

3f.

8

8

 

a°°

n

a°°°

a°°

g: a

k: a

a

n

n

* B a, r: n

n

Gedackt

Flöte

Blockflöte

Regal

Scharff

8

4

2

8

2f.

 

H: a, **: n

H: a, **: n

k: a, **: n

a, **: n

n

Subbaß


Oktave

Oktave

Nachthorn

Mixtur

Posaune

Trompete

Cornet

16


8

4

1

5f.

16

8

2

 

*: 7 Pfeifen H, r: M: n

n

n

n

n, B+: a°°

n, B: a°°

n

 


Pfeifenwerk:


(Pfeifenwerk:)

 

a

a°°°

a°°

n

*

**

=

=

=

=

=

=

=

alt

viele Pfeifen alt

einige Pfeifen alt

wenig Pfeifen alt

neu

C – Gis

Fis und Gis

H

M

B

B+

g

k
r

=

=

=

=

=

=
=

Holz

Metall

Becher

Becher, Köpfe, Stiefel und Kehlen

gedeckt

konisch

restlicher Anteil

 


Technische Angaben:

 

Manualumfang:

Pedalumfang:

Tonhöhe:

Stimmung:

Koppeln:

Magazinbalg

CDE – c’’’

CDE – d

normal

gleichschwebend

Manualkoppel


Bau-/Restaurierungsgeschichte

158790

Hans Scherer der Ältere (d. Ä.) (Hamburg) baut mit seinem Meistergesellen Antonius Wilde unter Verwendung älterer Register aus einer Vorgängerorgel (?) für die Kirche St. Nicolai zu Stade eine Orgel. Diese Orgel soll später nach Himmelpforten gelangen.

 

 

1609, 166769

Das Instrument wird von nicht bekannten Orgelbauern repariert. Bei diesen Reparaturen ist von einer Veränderung der Disposition und anderer technischen Gegebenheiten auszugehen.

 

 

1677

Der Prospekt wird von Arp Schnitger im Zuge von Umbaumaßnahmen in der Kirche verändert. Neben diesen Veränderungen liefert er auch neue Stimmen. Für seine Arbeiten bekommt Schnitger 151 Pfund Blei und 200 Mark Arbeitslohn.

 

 

1709

Schnitgers Hamburger Konkurrent Otto Dietrich Richborn führt eine Reparatur durch, die er möglicherweise im Auftrag Schnitgers erledigt.

 

 

1736, 1749/50, 1759

Weitere Reparaturen durch Dietrich Christoph Gloger sind belegt, wobei im Jahr 1759 nur vermutet werden kann, dass sie erneut durch Gloger erfolgt. Bei der Instandsetzung durch Gloger werden 33 Register erwähnt.

 

 

1801

Georg Wilhelm Wilhelmy arbeitet an der Orgel.

 

 

1808

Sein Sohn Georg Wilhelm arbeitet wenige Jahre später ebenfalls an der Orgel.

 

 

1830

Heinrich Renken gibt die Disposition der Orgel zu St. Nicolai in Stade um 1830 an:


Disposition:

(originale Schreibweise)

Hauptwerk

Positiv

Brustwerk

 

Principal

Hohlflöte

Gedact

Octave

Flöte

Nasat (Quint ?)

Octave

Mixtur

Trompete

Vox humana

8’

8’

8’

4’

4’

3’

2’

4f.

8’

8’

 

Gedact

Principal (Discant)

Principal

Flöte

Nasat

Octave

Waldflöte

Sesquialtera

Scharf

Ducian

Regal

8’

8’

4’

4’

3’

2’

2’

(2f.)

16’

8’

 

Flöte

Blockflöte

Scharf

Regal

Krummhorn

4’

2’

8’

8’

 


Pedal


Technische Angaben:

 

Subbaß

Octave

Octave

Nachthorn

Mixtur

Posaune

Trompete

Trompete

16’

8’

4’

2’

16’

8’

4’

 

2 Verkoppelungen

4 Ventile

Zimbelstern

Vogelgesang

Tremulant

 


1834


Die Nikolaikirche wird geschlossen und abgerissen. Es besteht kein weiterer Bedarf für die Nutzung der Kirche und ein Verständnis für
„Denkmalpflegerische Maßnahmen“ gibt es zu dieser Zeit noch nicht. So gelangen einige Teile des Inventars in die Cosmaekirche und die Orgel nach Himmelpforten und Kirchlinteln. Während in Himmelpforten einige Register bewahrt bleiben, ist in Kirchlinteln nur das reich verzierte Renaissancegehäuse des Rückpositives mit den Prospektpfeifen erhalten.

 

 

1835

Die Kirchengemeinde Himmelpforten erwirbt eine gebrauchte Orgel, die der Verdener Orgelbauer Peter Tappe in Stade kaufen kann und der Kirchengemeinde in Himmelpforten zum Teil verkauft. In Himmelpforten ist bis jetzt vor diesem Ankauf kein Instrument nachzuweisen. Die Orgel, die Tappe erwirbt, ist die Orgel von Hans Scherer d. Ä. aus der Kirche St. Nicolai in Stade. Peter Tappe stellt schließlich das Hauptwerk, Brustwerk und das Pedal der Nicolai-Orgel mit einem neuem Prospekt in Himmelpforten auf (das Rückpositiv wird nach Linteloh (Kirchlinteln) verkauft).

Renken teilt in seiner Dispositionssammlung ebenfalls die Disposition der Scherer-Orgel mit, wie sie nach dem Neuaufbau hinter klassizistischer Gehäusefront der Orgel durch den Orgelbauer Peter Tappe in Himmelpforten lautet:


Disposition:

(originale Schreibweise)

Hauptmanual

Brustwerk

Pedal

 

Quintatön

Principal

Gedact

Hohlflöte

Octav

Flöte

Nasat

Octave

Mixtur

Trompete

Vox humana

16’

8’

8’

8’

4’

4’

3’

2’

4f.

8’

8’

 

Doppelflöte

Flöte

Blockflöte

Regal

8’

4’

2’

8’

 

Subbaß

Octave

Octave

Posaune

Trompete

Trompete

16’

8’

4’

16’

8’

4’

 


Technische Angaben:

 

Noli me tangere:

(„rühr mich nicht an“, stummer Registerzug)

 


1890
, 92


Der Stader Orgelbauer Heinrich Röver repariert die Orgel und ändert die Disposition.

 

 

1955/56

Umfassender Umbau durch die Firma Paul Ott (Göttingen) unter der Fachberatung von Alfred Hoppe (Verden). Die Orgel bekommt einen neuen Prospekt, der von dem Entwurf des Hannoverschen Architekten Dr. Wolf erstellt wird. Die Orgel erhält außerdem eine neue Windanlage. Die Windladen werden gründlich verändert und der Spielschrank und die Mechanik erneuert. Die bis zu diesem Zeitpunkt übrig gebliebenen alten Prospektpfeifen werden ausgebaut. Der Umfang der Klaviaturen wird von der kurzen Oktave zu CDE – c’’’ und im Pedal von CDE – d’ auf CD – d’ erweitert. Das alte Pfeifenwerk wird gründlich umgearbeitet und durch Aufrücken auf die „Normaltonhöhe“ gebracht und neu intoniert.

 

 

1973

Die Orgel wird nochmals durch die Firma Ott repariert und instandgesetzt.

 

 

1982

Die Kirche wird renoviert und der Dachreiter gesichert. Im Zuge dieser Maßnahmen muss das Pfeifenwerk der Orgel abgetragen und gesichert werden.

 

 

1987

Nach den Renovierungsarbeiten wird die Orgel durch die Firma Alfred Führer (Wilhelmshaven) wieder aufgebaut und gründlich überarbeitet.

 

 

2014

Restaurierung der Scherer/Ott-Orgel durch Bartelt Immer (Norden). Trotz aller Umarbeitungen der Orgel und des Pfeifenwerkes ist mit den alten Registern des Brustwerkes noch die ursprüngliche Klangqualität der Orgel Scherers zu erahnen.

Eine Restaurierung des historischen Pfeifenwerkes und eine Neukonzeption der Orgel im Sinne Scherers wären wünschenswert, um dieses bedeutende Pfeifenwerk der Renaissance in seiner ungehörten Klangeigenschaft wiederauferstehen zu lassen.

 


(Stand 15.02.2022)