Harsefeld, St. Marien und Bartholomäus

Orgel von Friedrich Altendorf (1860/61)

Navigation: Kirchenstraße, 21698 Harsefeld

In Harsefeld gibt es bereits im frühen 16. Jahrhundert eine Orgel, aus der auch heute noch Gehäuseelemente und zwei Register erhalten sind. Spätestens im 18. Jahrhundert wird die Orgel den Bedürfnissen der Zeit angepasst. Der hannoversche Orgelbauer Friedrich Altendorf baut 1860/1861 in Harsefeld eine neue Orgel mit zwei Manualen, Pedal und 21 Registern unter Verwendung einiger älterer Register. Die Verarbeitung der Pfeifen und das Klangideal der Register Altendorfs zeigen eine deutlich rückwärts gewandte Vorstellung vom Orgelbau. Tatsächlich steht Altendorf in einer Reihe von Orgelbauern, die in einer direkten Linie über die Orgelbauer Bethmann (Sohn und Vater) und Christian Vater auf Arp Schnitger zurückzuführen ist. Altendorf arbeitet im Gebiet um Hannover bis in das nordniedersächsische Gebiet, doch ist kein Instrument von ihm vollständig erhalten geblieben.

Das Instrument wird insbesondere im 20. Jahrhundert radikal verändert, sodass sich sein Zustand zunehmend verschlechtert. Die gesamte klangliche Konzeption stimmt mit der Qualität der ganz alten und der Altendorfschen Pfeifen nicht überein. Im technischen Bereich fällt insbesondere die Schwergängigkeit der Spielweise auf, die auf eine äußerst umständlich angelegte und wenig wartungsfreundliche Anlage der Orgeltechnik zurückzuführen ist und eine sensible Spielweise der Orgel nicht zulässt. Ende der 90er Jahre beginnen Überlegungen, die Orgel auf lange Sicht betrachtet in einen besseren klanglichen und technischen Zustand zu versetzen. Rowan West (Altenahr) stellt 2001/2002 die Orgel mit 21 Registern unter Verwendung aller historischen Elemente in einem neuen Konzept fertig.


Anm.:
originale Schreibweise der Register in der Einheit Fuß (’).
Anzahl der Pfeifenreihen gemischter Stimmen: z. B. 3fach (3f.).

Disposition:

(26 / HW/Pos/Ped)

Hauptwerk

Positiv

Pedal

 

Prinzipal

Bordun

Rohrflöte

Oktave

Spitzflöte

Quinte

Oktave

Waldflöte

Mixtur

Trompete

8’

16’

8’

4’

4’

22/3

2’

2’

4f. 11/3

8’

 

A

A

A

A

A

A

W

A

H

W

Gedackt

Viola da Gamba

Oktave

Gemshorn

Nasard

Oktave

Tertia

Quinte

Scharff

Hoboe

8’

8’

4’

4’

22/3

2’

13/5

11/3

3f. 1’

8’

 

A

A

W

A

W

W

W

A

W

W

Subbaß

Oktave

Violon

Oktave

Posaune

Trompete

16’

8’

8’

4’

16’

8’

 

A

+

W

+

W

W

 


Pfeifenwerk:

 

+

A

H

W

=

=

=

=

1500/1600 (?)

1860/1861

1971/1972

2002

vorwiegend frühes 16. oder eventuell spätes 17. Jhd.

vorwiegend Friedrich Altendorf

Hillebrand

Rowan West

 


Technische Angaben:

 

Manualumfang:

Pedalumfang:

Winddruck:

Tonhöhe:

Stimmung:

Koppeln:


Tremulant

C,D – f’’’

C,D – d’

80mmWS

normal (a’ = 440 Hz)

gleichstufig

Manualkoppel als Schiebekoppel (MK), Pedalkoppeln (als Tritte): (PK I) Pedal an HW, (PK II) Pedal an OW


Bau-/Restaurierungsgeschichte

1546

Die frühesten Nachrichten über eine Orgel in der Kirche zu Harsefeld belegen, dass ihre Geschichte in die Anfänge des 16. Jahrhunderts zurückgeht. Die Eigenschaften dieses Instruments sind heute nicht mehr bekannt. Jedoch weisen die im Pedal erhaltenen Register Oktave 8’ und Oktave 4’ (fast vollständig aus den alten Pfeifen bestehend) in ihrer Bearbeitung des stark bleihaltigen Materials und der Bauart auf eine Erbauungszeit um 1500 hin. Diese Register sind demnach mitunter die ältesten erhaltenen Zeugnisse spätgotischer Orgelbaukunst im Raum zwischen Elbe und Weser und als ein bedeutendes Kulturgut dieser Region anzusehen.

 

 

1583

Es soll eine kleine Orgel mit sechs Registern durch einen Orgelbauer „Neumeister“ erbaut worden sein, wie ein späteres Lagerbuch aus dem Jahr 1791 berichtet.

 

 

1730

Spätestens im Jahr 1730 wird wieder an der Orgel gearbeitet und sie wird durch ein Rückpositiv und ein Pedal erheblich erweitert. Das Orgelwerk besitzt nun – wie das Lagerbuch vermeldet – 23 Stimmen.

 

 

1830

Eine Disposition dieser Größe vermeldet Rencken um 1830. Einige Pfeifen im Prinzipal 8’ des Hauptwerks stammen aus dieser Zeit. Allerdings ist bis heute nicht bekannt, von welchem Orgelbauer sie stammen könnten. Renckens Disposition lautet:


Disposition:

(originale Schreibweise)

Manual (Hauptwerk)

(Rück-)Positiv

Pedal

 

Principal

Gedact

Octave

Rohrflöte

Nasat

Octave

Mixtur

Trompete

Vox humana

8’

8’

4’

4’

3’

2’

5–6f.

8’

8’

 

Gedact

Principal

Quinte

Octave

Quinte

Sesquialtera

Mixtur

Dulcian

8’

4’

3’

2’

11/2

2f.

3f.

8’

 

Principal

Octave

Octave

Posaune

Trompete

Trompete

16’

8’

4’

16’

8’

4’

 


Technische Angaben:

 

3 Ventile

1 Tremulant

3 Noli me tangere:

3 ventils

1 tremulant

3 Noli me tangere:



(
„rühr mich nicht an“, stummer Registerzug)


(
„don’t touch me“, silent stops)

 


1860
/61


Im 19. Jahrhundert bestimmen die Stader Orgelbauer Johann Hinrich Röver und Söhne (Heinrich und Ernst) und Philipp Furtwängler aus Elze bei Hanover den Orgelbau in der Region zwischen Elbe und Weser. Lediglich der hannoversche Orgelbauer Friedrich Altendorf kann sich neben ihnen behaupten und baut in Harsefeld eine neue Orgel unter Verwendung einiger älterer Register aus dem 16./17. Jahrhundert. Die Disposition der Harsefelder Orgel von Friedrich Altendorf:


Disposition:

(originale Schreibweise)

I. Manual

II. Manual

Pedal

 

Prinzipal

Bordun

Rohrflöte

Gemshorn

Gambe

Oktave

Spitzflöte

Quinte

Waldflöte

Mixtur

8’

16’

8’

8’

8’

4’

4’

3’

2’

4f.

 

Geigenprinzipal

Salicional

Viola

Gedackt

Gemshorn

Flöte

Flageolet

8’

8’

8’

8’

4’

4’

2’

 

Violon

Subbaß

Oktave

Oktave

16’

16’

8’

4’

 


Technische Angaben:

 

2 unbesetzte Schleifen

2 unused sliders

 


1887


Der Sohn des bereits genannten Johann Hinrich Röver – Heinrich Röver aus Stade – repariert nachweislich die Orgel.

 

 

1917

Ein Teil der Prospektpfeifen muss an die Heeresverwaltung abgeliefert werden.

 

 

1952/53

Im Zuge einer an der Barockzeit orientierten Orgelbauwelle nach dem Zweiten Weltkrieg wird auch die Altendorforgel durch die Firma Kemper (Lübeck) radikal umgebaut und damit seiner ursprünglichen Klanglichkeit beraubt. Neben dem Verlust des Klangs der Orgel von Altendorf wird sie auch mit einer Technik versehen, die aus wenig qualitätsvollem Material hergestellt worden und nicht für eine lange Lebensdauer konzipiert ist.

 

 

1971/72

Die Tatsache, dass bereits 20 Jahre später ein Umbau der Orgel durch Hillebrand notwendig wird, zeigt die Mängel des wohl etwas kurz gedachten Umbaus durch Kemper. Doch auch diese Arbeiten überzeugen nicht vollständig und der Zustand der Orgel wird stets kritisch begutachtet. Im klanglichen Bereich kann weder die Intonation (Klanggebung) der veränderten alten Register noch die der neuen Register wirklich überzeugen.

 

 

1990

Es kommt zu Überlegungen Ende der 90er Jahre, den klanglichen und technischen Zustand der Orgel zu verbessern. Aber eine Rekonstruktion der Altendorfschen Orgel kann nicht in Erwägung gezogen werden, da es zu wenig Anhaltspunkte für die „verloren gegangenen“ Teile der Orgel gibt und keine Instrumente Altendorfs als Vergleichsobjekte fungieren können. Daher wird sich für einen schöpferischen Umgang mit der historischen Substanz entschieden.

 

 

2001/02

Neubau der Orgel und Restaurierung aller historischen Elemente aus dem 16., 18. und 19. Jahrhundert durch den Orgelbauer Rowan West (Altenahr). Zu seinem Auftrag gehört, die Mechanik nach alten Vorbildern neu anzulegen und das Werk mit einigen neuen Registern zu einem sinnvollen Ganzen zu ergänzen. Nach den Umbau-, Restaurierungs- und Neubauarbeiten hat die Orgel die ganz oben genannte Disposition.

 


(Stand 14.02.2022)

error: Der Inhalt ist geschützt.